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Persönlicher Beitrag von Jon: Autofreie Oberstadt!

Mittwoch Nacht wurden am Hanno-Drechsler-Platz einige Menschen um ca. halb eins nachts recht überraschend geweckt. Es lag aber nicht an den üblichen Besoffskis oder dem Auto, das gelegentlich hupend die Untergasse runterrast (warum eigentlich?).

Grund für den nächtlichen Krach, der anschließend ca. 4 Stunden anhielt, war ein Kran, der quer auf der Untergasse stand und anscheinend Teile einer Klimaanlage auf das Dach des Schlossbergcenters hob.

Auf Nachfrage bei der Stadt Marburg wurde mir gesagt: ja, das sei von der Stadt so vorgesehen und genehmigt. Die Straße habe für den Kran gesperrt werden müssen. Verständlich. Das gehe aber nur nachts, weil die Barfüßerstraße wegen der Sperrung für „den Verkehr“ (gemeint ist: den motorisierten, den Auto-Verkehr) in beide Richtungen freigegeben werden müsse. Das wiederum verstehe ich nicht. (Mir wurde außerdem gesagt, „alle Anliegerinnen und Anlieger“ hätten informiert sein sollen; war aber nicht so.)

Die Oberstadt ist ja, wenn man bedenkt, dass sie vor allem ein Gebiet zum Wohnen, Essen und Einkaufen ist, voll von Kraftfahrzeugen. Ein wesentlicher Teil davon sind Lieferfahrzeuge, in denen Post, Pakete und Lieferungen für die gastronomischen Betriebe und Geschäfte transportiert werden. Um diesen Teil des motorisierten Verkehrs werden wir so schnell nicht herumkommen (obwohl es ja durchaus Alternativen zu Sprintern und 7,5-Tonnern gibt; siehe Anhang).

Und dann gibt es den ganzen großen Rest an PKW. Doch wo fahren die eigentlich hin? Mein Eindruck ist, dass es sich dabei um Leute handelt, die keine Fünf Minuten von einem der vielen Parkhäuser, die um die Oberstadt herum zur Verfügung stehen, zu ihrem Ziel gehen wollen. Wenn man durch die Oberstadt geht, sieht man einen ganzen Haufen davon. PKW, die auf der Barfüßerstraße parken, auf dem Gehweg der Reitgasse, am Hanno-Drechsler-Platz und eigentlich überall, wo sich ein paar Quadratmeter Straßenpflaster finden lassen. Aus meiner Erfahrung am Hanno-Drechsler-Platz weiß ich, dass es sich hierbei vor allem um die Autos von Gewerbetreibenden handelt, die „mal eben“ etwas aus ihrem Lokal holen, teilweise aber auch einfach mal einen halben Tag davor parken wollen. Ein anderer Teil sind Leute, die es für nötig halten, in der Oberstadt zu parken, wenn sie dort eine Tüte Shopping-Güter mitnehmen wollen.

Das Ordnungsamt ist zwar nicht selten in der Oberstadt unterwegs, aber von den Kontrollen sind die Motorist*innen ja anscheinend nicht beeindruckt.

Damit also diese Leute tagsüber ungehindert zu ihren vermeintlichen Parkplätzen fahren können, die eigentlich öffentliche Plätze und enge, für den Verkehr zu Fuß reservierte Straßen sind, wird die Kran-Aktion lieber in die Nacht verlegt und ein ganzer Haufen Leute wachgehalten. Dass „der Verkehr™“ in der Oberstadt zusammenbrechen würde, wenn mal eine Straße für 4 Stunden gesperrt wäre, sollte den Verantwortlichen zu denken geben.

Auch die Infrastruktur in der Oberstadt sieht stellenweise gar nicht so aus, als wäre man an einem Ort für Menschen. Als Beispiel die Untergasse/Am Plan: hier sind die Gehwege generell schmal. Wenn dann mal auch die Gasse schmaler wird, als sie eh schon ist, wird zugunsten der Breite der Fahrbahn der Gehweg noch schmaler. In der Untergasse an der schmalsten Stelle so ca. 30-40 cm; da passen weder Rollstühle oder Kinderwagen noch menschliche Schultern drauf. Am Plan hört der Gehweg auf der Nordseite einfach auf. So muss man sich in der Untergasse im Slalom von einer Straßenseite zur anderen Bewegen, wenn man vom Hanno-Drechsler-Platz Richtung Rudolphsplatz gehen will; denn wenn man hier auf der Fahrbahn läuft, z.B. weil man dem Gegenverkehr auf dem Gehweg ausweicht oder weil der Gehweg eben keiner ist, ist die Empörung bei Autofahrenden oft groß. Wäre die Oberstadt eine große Fußgängerzone, könnte man sich die Bordsteine sparen und die Fußgänger*innen könnten sich mit den Bussen und (kleinen?) Lieferfahrzeugen, die dort noch verkehren, locker arrangieren.

Die Oberstadt soll ja eigentlich ein schöner Ort zum Flanieren, Erholen, Einkaufen sein (und zum Wohnen, was manchmal anscheinend vergessen wird). Aber wird mit einem Haufen abgestellten Autos eine Atmosphäre geschaffen, in der das möglich ist? Tatsächlich sieht es so aus, als werde gerade der Einkaufs-Aspekt durch zu viele parkende Autos eher gefährdet als befördert (https://www.zukunft-mobilitaet.net/3697/analyse/parkplaetze-innenstadt-einzelhandel-parkgebuehr/). Und davon ganz abgesehen finde ich es persönlich einfach frech, dass die Autos von ein paar Leuten vor den Haustüren derer stehen, die in der Oberstadt einfach nur wohnen (http://itstartedwithafight.de/2014/12/11/das-grundrecht-auf-parkplatze/).

Um die Oberstadt zu dem angenehmen, lebenswerten Ort zu machen, der sie sein soll, sollte sie endlich von der Last des unnötigen Autoverkehrs befreit werden. Sie sollte zu einer Fußgängerzone gemacht werden, ohne Einfahrt für Kraftfahrzeuge, die keinen triftigen Grund haben, sie zu befahren (Lieferverkehr, Busse; PKW derer, die tatsächlich darauf angewiesen sind, damit zu ihrem Wohnort zu kommen – das Auto vor der Haustür abzustellen, ist meiner Meinung nach kein solcher Grund). Darüber hinaus braucht sie ein praktikables und nachhaltiges System, um die große Menge an täglichen Lieferungen zu bewältigen, bei dem die verschiedenen Akteur*innen des Lieferverkehrs nicht sich gegenseitig und allen anderen im Weg stehen (siehe Anhang).

 

Ich fordere deshalb: Autofreie Oberstadt!

 

 

Anhang

Logistik in der Stadt:

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